Der perfekte Urlaub
Wie stelle ich mir einen perfekten Urlaub vor?
Natur, Sonne, ein bisschen Abenteuer, keine Hotelburgen, kein Massentourismus, keine Schlangen am Frühstücksbüffet, viel Freiheit, und natürlich kein spießiges Wohnmobil mit Vorzelt, Jägerzaun und Gartenzwerg auf einem überfüllten Campingplatz in Mecklenburg-Vorpommern!
Wer jung, mobil und cool ist, schnappt sich deshalb sein Surfbrett, steigt damit in den abgerockten Kastenwagen und fährt so lang, bis er an einem einsamen Strand ankommt. Dort wirft er sich in die Fluten, reitet eine hohe Welle nach der nächsten, legt sich abends müde und glücklich auf seine dünne Isomatte und zählt zum Einschlafen die Sterne über sich.
Und ich? Was muss ich tun, um am Ende des Urlaubstages müde und glücklich in den Sternenhimmel schauen zu können? Mit MS braucht man ein paar kleine Extras, um frei zu sein. Luft und Wellen reichen noch nicht.
Man braucht: einen bequemen Autositz, auf dem man es gut viele Stunden aushalten kann, denn der perfekte Ort ist manchmal ein paar Kilometer entfernt, man braucht eine Toilette im Auto, ein gemütliches Bett für kleine Akku-Auflade-Pausen, einen Kühlschrank an Bord für kühle Getränke, falls der Körper mal dringend eine Abkühlung nötig hat, um wieder zu funktionieren.
Der perfekte Bulli
Nach unzähligen Messebesuchen, Nachmittagen in Wohnmobil-Häusern, Katalog-Durchforstungen und Internet-Recherchen haben mein Freund und ich uns einfach für unseren perfekten Bulli entschieden: ein sechs Meter langer himmelblauer Bus. Er hat alles, was WIR brauchen und alle Extrawürste, die ICH brauche. Bequeme Sitze, eine Toilette, ein gemütliches Bett, einen Kühlschrank, zwei Kochplatten, eine Dusche, einen Klapptisch zum Drinnen-Essen und einen Campingtisch zum Draußen-Essen, ein Bücherregal und genug Platz für meinen Rolli. Im Bus selbst brauche ich den Rolli zum Glück nicht. Er ist so klein, dass man vom Bett zur Toilette, von der Toilette zum Kühlschrank und vom Kühlschrank zum Esstisch jeweils nur einen einzigen Schritt machen muss. Also perfekt für jemanden wie mich, der nicht gut laufen kann.
Der perfekte Campingplatz
Welcher Campingplatz für wen perfekt ist, muss jeder für sich selbst herausfinden. Es gibt Campingplätze mitten in der Natur ohne Sanitäranlagen, ohne Restaurant, ohne Strom. Es gibt aber auch Campingplätze mit wunderbaren Sanitäranlagen, mit herrlichen Biergärten, mit Swimming-Pools, mit Aufenthaltsräumen für verregnete Tage. Manche sind barrierefrei, manche nicht. Es gibt Campingplätze am Meer, in den Dünen, am See, im Wald, in der Stadt. Man hat die Qual der Wahl. Und das Schönste ist: Im Gegensatz zum Urlaub im Hotel muss man nie die Frage stellen, ob das Zimmer ohne Treppen zu erreichen ist, ob das Bad barrierefrei ist und ob man mit dem Rollstuhl zum Restaurant kommt. Seit wir mit unserem Bulli unterwegs sind, haben wir viel mehr Möglichkeiten. Wenn uns ein Platz gefällt, weil er zum Beispiel direkt am See ist, dann bleiben wir einfach dort. Uns ist es egal, wenn das Klohäuschen nur über einen holprigen Schotterweg und eine Treppe zu erreichen ist. Uns ist es egal, wenn das einzige barrierefreie Zimmer mit Seeblick im Hotel nebenan 200,- € kostet. Uns ist es egal, wenn der Frühstücksraum im 3. Stock ohne Aufzug ist. Der selbstgemachte Kaffee am offenen Camperfenster schmeckt sowieso am Besten!
Wir suchen uns meistens irgendeinen schönen Platz und schauen vor Ort, ob er für unsere Bedürfnisse geeignet ist. Wenn nicht, fahren wir einfach weiter. Das geht natürlich nur in der Nebensaison. Aber in der Hauptsaison kann man ja alles vorher telefonisch abklären. Frei ist man in jedem Fall, finde ich!
Einen Reiseführer für barrierefreie Campingplätze braucht man deshalb nicht. Die größten Barrieren haben sich ja durch den perfekten Bulli von selbst erledigt.
Die perfekte Therapie
Sobald ich unseren Camper betrete, passiert irgendetwas in meinen Nervenbahnen. Ich weiß nicht genau, warum, aber Körper und Geist sind plötzlich hellwach. Ich will auf dem Bett sitzen und unseren Kleiderschrank einräumen, ich will unsere Vorräte im Kühlschrank verstauen, ich will auf dem umgedrehten Beifahrersitz sitzen und Kaffeewasser auf dem Gasherd warm machen. Ich will Pläne schmieden, wo es als nächstes hingeht. Ich will aufs Meer schauen. Und durch die Dachluke in den Sternenhimmel. Ich will. Und ich tue es. Das Leben im Camper ist voller Herausforderungen. Aber das Bedürfnis nach Eigenständigkeit und Selbstbestimmtheit lässt sie mich alle annehmen und meistern. Im Camper ist nicht die MS die Chefin, sondern ICH bin es.
Und was noch nicht perfekt ist – wird perfekt gemacht
Die Dusche in unserem Camper habe ich noch nie ausprobiert. Da ich mich beim Duschen hinsetzen muss, befürchte ich, dass ich dabei den ganzen Bus unter Wasser setzen würde. Wir suchen uns deshalb in der Regel – zumindest alle paar Tage – Campingplätze mit einer barrierefreien Dusche.
Es gibt auch Firmen, die Campingwagen individuell aus- und umbauen.
Leider kann ich nicht eigenständig meinen Rollstuhl aus dem Bus heben, wenn wir irgendwo ankommen und in den Bus heben, wenn wir wieder weiterfahren. Das macht aktuell netterweise mein (nahezu) perfekter Freund. Wenn man diesen aber nicht immer dafür einspannen will, sondern einfach nur auf einen Knopf drücken möchte, gibt es zum Beispiel auch die Möglichkeit, eine elektrische Hebebühne einbauen zu lassen.
Da ich leider zu schlappe Beine habe, um unser himmelblaues Freiheitsmobil selbst zu fahren, bin ich momentan nur Beifahrerin. Aber das kann sich ja noch ändern. Man kann fast alle Autos auf Handgasbetrieb umbauen lassen.
Mit oder ohne Handgas – wir fahren jedenfalls nächste Woche wieder los. Auf einen kleinen schnuckeligen Campingplatz in Mecklenburg-Vorpommern. Allerdings ohne Gartenzwerg!
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