Unter Hippotherapie versteht man den rein medizinischen Einsatz eines Pferdes für eine physiotherapeutische Einzelbehandlung von Menschen mit Behinderungen, vor allem mit Erkrankungen des Bewegungsapparates. Patienten mit Multipler Sklerose (MS) profitieren von einer Hippotherapie gleich mehrfach: Die Muskelspannung normalisiert sich, die gesamte Rumpfmuskulatur kräftigt sich, die Becken-, Hüft- und Lendenmuskeln werden aktiviert und die Koordination von Rumpf- und Beinmuskulatur verbessert sich. Laut den Ergebnissen einer neuen Studie der Universität Köln haben MS-Patienten nach eine Hippotherapie weniger Probleme mit Gleichgewichtsstörungen, Spastik und Fatigue.
Die Hippotherapie, eine Form der Reittherapie, ist eine Art Krankengymnastik mit Pferden. Bei dieser Therapie werden hauptsächlich Motorik, Körperbewusstsein und Balance des Patienten geschult. Dadurch kann er oder sie gleichzeitig auch Vertrauen in die eigene motorische Leistungsfähigkeit entwickeln. Während der Hippotherapie sitzt der Patient auf dem Pferderücken. Dieses wird geführt und läuft langsam im Schritt, was dreidimensionale Schwingungen auslöst, die sich auf das Becken des Patienten übertragen. Die Reize und die daraus entstehenden Bewegungsmuster trainieren unter anderem Haltungs-, Gleichgewichts- und Stützreaktionen und normalisieren die Muskelspannung. Anders als beim nicht-therapeutischen Reiten wirkt der Reiter nicht aktiv auf das Pferd ein, sondern umgekehrt wirkt die Bewegung des Pferderückens auf den auf dem Pferd sitzenden MS-Patienten.
Neue Studie: Wirkt Hippotherapie bei MS?
Bereits seit den 1970-er Jahren vermutet man, dass sich Hippotherapie positiv auf die Symptome von Patienten mit Multipler Sklerose auswirkt. In der neuen „MS-HIPPO-Studie“ von Wissenschaftlern der Universität Köln unter Leitung von Dr. Dieter Pöhlau, Neurologe und Chefarzt der DRK Kamillus Klinik Asbach, wurde die Wirkung der Hippotherapie auf Patienten mit Multipler Sklerose wissenschaftlich untersucht. Die Forscher haben 70 erwachsene MS-Patienten in die Studie aufgenommen, die alle an einer Spastik der unteren Extremitäten litten.
Wie wurde die Studie durchgeführt?
Nach einer Zufallsverteilung wurden die Studienteilnehmer entweder einem Hippotherapie-Zentrum (Interventionsgruppe) oder einer Kontrollgruppe zugewiesen. In der Interventionsgruppe bekamen die Patienten zusätzlich zur ihrer gewohnten Behandlung jeweils einmal pro Woche eine Hippotherapie. In der Kontrollgruppe wurde die bisherige Therapie (Medikamente und eventuell Physiotherapie) wie gewohnt fortgeführt. Nach zwölf Wochen dokumentierten Physiotherapeuten die Veränderungen bei den Versuchsteilnehmern bezüglich häufiger Symptome der MS, nämlich Gleichgewichtsstörungen, Fatigue (erhöhte Erschöpfbarkeit), Spastik (erhöhte Muskelspannung) und Schmerzen. Die Therapeuten, die diese Befunde erhoben, waren nicht darüber informiert, ob ein Studienteilnehmer Hippotherapie bekommen hatte oder nicht.
Welche Ergebnisse brachte die Studie?
Zwar verbesserten sich die Gleichgewichtsstörungen sowohl in der Interventions- wie in der Kontrollgruppe, der Effekt war aber mit Hippotherapie doppelt so stark (plus 6 Punkte) wie in der Kontrollgruppe (plus 2,9). Auch Fatigue, Spastik sowie Lebensqualität besserten sich bei Patienten mit Hippotherapie signifikant stärker als in der Kontrollgruppe. Nur im Punkt Schmerzen unterschieden sich Hippotherapie- und Kontrollgruppe nicht. Hier bestand laut Aussage der Autoren allerdings auch eine sehr breite Streuung, was die (subjektiven) Angaben zur Schmerzstärke anging.
Wie macht man Hippotherapie?
Die Hippotherapie wurde in dieser Studie einmal pro Woche in einer Halle durchgeführt. Die Behandlungsdauer war abhängig von der Belastbarkeit und Leistungsfähigkeit des Patienten und betrug im Durchschnitt etwa 30 Minuten. Der Patient wurde während der gesamten Maßnahme von einem Hippotherapeuten angeleitet und gesichert. Das Reiten eines Pferdes in der Gangart Schritt bewirkt, dass der Patient so bewegt wird, als ob er selbst gehen würde. Die Übertragung der Schwingungsimpulse (circa 100 pro Minute) reaktiviert beim MS-Patienten fehlende oder verloren gegangene Bewegungsmuster im Gehirn. Diese Stimulation ist einzigartig und macht wahrscheinlich die positive Wirkung der Therapie aus. Reiterliche Vorkenntnisse sind dabei nicht erforderlich. Wichtig ist: Die Hippotherapie ersetzt keine Physio- oder Ergotherapie, sondern sie ist ein Baustein in einem komplexen Behandlungsprogramm.
Wer trägt die Kosten für die Hippotherapie?
Zwar übernehmen einzelne private Krankenkassen im Rahmen von Einzelfallentscheidungen die Kosten, gesetzlich Versicherte müssen die Hippotherapie jedoch selbst bezahlen. Die Kostenübernahme wird bisher von den gesetzlichen Krankenkassen mit Hinweis auf die nicht bewiesene Wirksamkeit abgelehnt. Mit den vorliegenden Daten werde eine Neubewertung angestrebt, die zu einer Kostenübernahme führen sollte, so die Ärztezeitung.
Quellen:
Vermöhlen V., et al.: Hippotherapy for patients with multiple sclerosis: A multicenter randomized controlled trial (MS-HIPPO). Multiple Sclerosis Journal 2017, online 3. August.
Ärzte Zeitung, 21.02.2018, https://www.aerztezeitung.de/medizin/krankheiten/neuro-psychiatrische_krankheiten/multiple_sklerose/article/957865/heilen-pferden-hippotherapie-ms-punktet-neuer-studie.html
Adressen und weitere Informationen zur Hippotherapie finden Sie unter: Deutsche Kuratorium für Therapeutisches Reiten e.V. (DKThR) https://www.dkthr.de/de/
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