Menschen mit Multipler Sklerose (MS) stehen neue und teilweise hochwirksame krankheitsmodifizierende Arzneimittel (Disease-modifying Therapies, DMTs) zur Verfügung. Diese unterdrücken das Immunsystem, um zu verhindern, dass die Erkrankung weiter voranschreitet. Allerdings macht diese Art der Behandlung die erkrankten Menschen anfälliger für Infektionskrankheiten wie Grippe oder Hepatitis. Eine Impfung gegen diese und andere Infektionskrankheiten ist daher besonders wichtig.1
Der Impfschutz während einer Behandlung mit DMTs fällt oft jedoch geringer aus als gewünscht, weil die Medikamente auch beeinflussen, wie stark das Immunsystem auf die Impfung reagiert. Dennoch ist eine Impfung sinnvoll, unter Berücksichtigung des richtigen Zeitpunkts und einem sorgfältig ausgewählten Impfstoff. Der Zeitpunkt der Impfung und die Auswahl des Impfstoffs müssen daher strategisch geplant sein.2
Konsenspapier soll Impfstrategie erleichtern
Eine Expertengruppe des European Committee for Treatment and Research in Multiple Sclerosis (ECTRIMS) und der European Academy of Neurology (EAN) hat ein europäisches Konsenspapier erarbeitet. Dabei handelt es sich um eine Veröffentlichung mehrerer Fachgesellschaften, die in Bezug auf ein bestimmtes Thema zu einer gemeinsamen Schlussfolgerung gekommen sind. Das Ziel dieses Konsenspapiers war es, einheitliche Impfempfehlungen für Menschen mit MS mit unterschiedlichen Therapien zu etablieren. Zudem soll es so dem ärztlichen Team leichter gemacht werden, die individuellen Impfstrategien zu optimieren. Auf diese Weise sollen sich die bestmöglichen Behandlungsergebnisse erzielen und Risiken minimieren lassen.1,3
Um das Konsenspapier zu erstellen, befasste sich die Expertengruppe mit Fragen zu:3
- Allgemeine Sicherheit und Wirksamkeit von Impfstoffen
- Globalen Impfstrategien
- Impfungen bestimmter Bevölkerungsgruppen mit MS wie Kindern, Schwangeren, älteren Menschen und Menschen, die in Risikogebiete reisen
Das Ergebnis umfasst insgesamt 53 Impfempfehlungen für Menschen mit MS, die auf einer systematischen Recherche wissenschaftlich belegter Quellen beruhen.3 Gleichzeitig räumt das Konsenspapier auch mit Mythen auf, zum Beispiel, dass Impfungen eine MS-Erkrankung begünstigen könnten.2
Was sind die aktuellen Impfempfehlungen für Menschen mit MS?
Unter anderem sind folgende Impfempfehlungen und Informationen Teil des Konsenspapiers:3, 5
- Für Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit MS gelten die gleichen Impfempfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) wie für die Allgemeinbevölkerung.
- Impfstoffe stellen bei Menschen mit MS, die mit oder ohne ein DMT behandelt werden, kein erhöhtes Risiko für Schübe oder Behinderungen dar. Eine Ausnahme stellen abgeschwächte Lebendimpfstoffe dar: Sie werden nur für Menschen ohne DMT oder solche mit älteren Basismedikamenten, also Interferonen und Glatirameracetat, empfohlen
- Es empfiehlt sich bei Diagnosestellung den Impfstatus der Person mit MS zu prüfen. Unabhängig von der medikamentösen Therapiestrategie sollten ausstehende Impfungen zeitnah erfolgen.
- Bei akuten Schüben sollte abgewartet werden, bis die Beschwerden abgeklungen sind oder sich das Krankheitsbild stabilisiert hat.
- Impfungen mit inaktivierten Impfstoffen eignen sich zu jedem Zeitpunkt der Erkrankung. Um eine vollständige Immunantwort zu gewährleisten, eignet sich jedoch der Zeitraum von mindestens zwei Wochen vor Beginn der MS-Behandlung.
- Bei Schwangeren ist es wichtig, alle nationalen Impfempfehlungen zu berücksichtigen. So lässt sich potenziellen Infektionen vorbeugen, die sich stark auf die Gesundheit und die Sterblichkeit von Mutter und Kind auswirken können.
Welche Impfungen sind besonders wichtig?
Für ältere Menschen mit MS gelten dieselben allgemeinen Impfempfehlungen wie für die gleiche Altersgruppe ohne die Erkrankung. Besonderes Augenmerk liegt hier auf der jährlichen Grippeimpfung mit einem Hochdosisimpfstoff. Auch sollte der Impfschutz gegen Pneumokokken- und Gürtelrose aktuell gehalten werden.1 Seit August 2024 sind zudem neue Covid-Impfstoffe erhältlich.4
Für Menschen, die immunsupprimierende Medikamente wie Alemtuzumab oder Cladribin erhalten, ist eine Impfung gegen das Humane-Papilloma-Virus (HPV) ratsam. Bei Schwangeren empfiehlt sich zu jedem Zeitpunkt der Schwangerschaft eine Impfung gegen Grippe sowie Röteln und Windpocken und je nach Schwangerschaftswoche auch die Impfung gegen Keuchhusten, Tetanus und Diphtherie.
Für Reisende mit MS sind Impfmaßnahmen gegen folgende Erkrankungen sinnvoll:1
- Hepatitis A und B
- Tollwut
- Japanische Enzephalitis
- Meningokokken
- Cholera
- Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME)
- Polio (IPV)
- Typhus
Menschen mit MS sollten in jedem Fall vorab mit der behandelnden Ärztin oder dem behandelnden Arzt über eine geplante Impfung sprechen.
Referenzen
- PTA heute. Neun Fragen zum Impfen bei Multipler Sklerose. https://www.ptaheute.de/aktuelles/2023/09/26/neun-fragen-zum-impfen-bei-multipler-sklerose. Stand: 26.09.2023, Abruf: 22.08.2024
- Schweizerische Multiple Sklerose Gesellschaft. Impfungen bei MS: gute Planung erforderlich. https://www.multiplesklerose.ch/de/aktuelles/detail/impfungen-bei-ms-gute-planung-erforderlich/ Stand: 12.05.2024, Abruf: 22.08.2024
- Medscape. Impfungen während einer Immuntherapie: Welche Strategien eignen sich für MS-Patienten? Erste europäische Konsensuserklärung. https://deutsch.medscape.com/artikelansicht/4912807?form=fpf. Stand: 18.08.2023, Abruf: 22.08.2024
- PTA heute. Angepasste Corona-Impfstoffe ab August. https://www.ptaheute.de/corona-pandemie/covid-19-impfung/angepasste-corona-impfstoffe-ab-august Stand: 29.07.2024, Abruf: 22.08.2024
- Springer Link. Multiple Sklerose: Neue Impfempfehlungen. https://link.springer.com/article/10.1007/s15006-023-2940-x Stand: 1.09.2023, Abruf: 02.09.2024
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Titelbild: AdobeStock
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